In diesem Abschnitt finden Sie die Beschreibung des TIP Programms: Wie die einzelnen Trainings durchgeführt werden, wer sie moderiert, wer die Teilnehmenden sind und welche Wirkung angestrebt wird. Wenn Sie TIP einführen möchten, erfahren Sie im TIP Einführungsprogramm alles über mögliche Schritte der Implementierung.
Das TIP Trainingsprogramm soll die Influenzaprävention von Pflegeteams, in den Bereichen Händehygiene, Hustenetikette, Maskentragen und Impfung verbessern. Dies geschieht über die Förderung der Team-Sicherheitskultur. Das TIP Programm wurde forschungsbasiert entwickelt (Siehe dazu).
Für die nicht-forschungsbasierte Anwendung wurde das ursprüngliche Trainingsprogramm angepasst. So können Führungspersonen und Pflegeteams in Spitälern das leicht angepasste Trainingsprogramm selbstständig einsetzen.
Pflegeteam: Wird definiert als Personen, die gemeinsam in relativ konstanter Zusammensetzung eine Gruppe von Patienten betreut und sich selbst als Team definiert. Je nach Organisationsform des Spitals, kann dies eine Pflegestation, eine Abteilung oder auch nur ein Teil einer Abteilung sein.
TIP Kernteam: Wird definiert als Gruppe von Pflegenden aus einem Pflegeteam, die motiviert sind, das TIP Programm anzuwenden. Das TIP Kernteam nimmt an den drei Workshops teil. Es bezieht das Pflegeteam in Diskussionen regelmässig ein und setzt die Massnahmen gemeinsam um.
Das TIP Trainingsprogramm stellt die Patientensicherheit ins Zentrum und orientiert sich am Ansatz des «Practice Development in Nursing and Healthcare (PD)» (29). Dieser Ansatz ist definiert als kontinuierlicher Prozess, um eine patientenzentrierte, wirksame und sichere Pflegekultur zu entwickeln. Der Prozess wird durch Moderatoren aus der eigenen Institution unterstützt. Diese interagieren auf authentische Weise mit Einzelpersonen und Teams, um deren persönliche Qualitäten, kreatives Denken und Praxisexpertise nutzbar zu machen. Der Lernprozess, welcher daraus resultiert, ermöglicht Veränderungen in der Praxis von Einzelpersonen sowie auf der Teamebene. Dies wird zusätzlich durch den Austausch mit vorgesetzten Führungspersonen und dem Spitalmanagement unterstützt (29).
Neben dem Ansatz des «Practice Development in Nursing and Healthcare» werden Techniken der «Behavioral Change taxonomy» eingesetzt (30, 31). Diese unterstützen Verhaltensänderungen der beteiligten Teams, durch Datenfeedback zum Präventionsverhalten und einer Aktionsplanung mit Massnahmen und Zielen (31).
Mit dem TIP Trainingsprogramm werden Verhaltensbereiche der Influenzaprävention fokussiert, die durch Pflegende umgesetzt werden. Diese waren für die Studie: Händehygiene, Maskentragen, Hustenetikette und die Impfung. In der Pilotstudie haben die Pflegeteams zusätzlich Massnahmen im Besuchermanagement definiert. Das Besuchermanagement beinhaltete die Kommunikation mit Besuchern zu infektpräventivem Verhaltenbei Patientenbesuchen.
Für die Definition der Zielwerte gibt es keine einheitliche Empfehlung. Basierend auf der bestehenden Evidenz haben wir für die HaIP- Studie folgende Zielwerte als Orientierung festgelegt.
Händehygiene > 80%
Maskentragen bei Symptomen oder nach Richtlinie > 80%
Hustenetikette > 80%
Influenza Impfung > 80%
Solche Zielwerte können für ein Spital definiert werden und sollten schrittweise und mit realistischen Zwischenzielen auf Abteilungsebene angestrebt werden. Wichtig für die erfolgreiche Umsetzung des TIP Programms ist, dass diese Ziele als Richtwerte für einen kontinuierlichen Prozess zur Optimierung der Teamsicherheitskultur im Bereich Influenza betrachtet werden.
Die beteiligten Teams setzen sich aufgrund einer gemeinsamen und datenbasierten Einschätzung ihrer Stärken und Schwächen in der Influenzaprävention, machbare und messbare Ziele für eine Influenzasaison.
Die Evaluationsdaten haben gezeigt, dass es für Führungspersonen wichtig ist, sich erstens auf kombinierte Präventionsmassnahmen und nicht nur auf die Impfung zu fokussieren. Zweitens sollten sie die Ziele der Teams kennen und deren Erfolg anhand dieser Ziele einschätzen, diskutieren.
Das TIP Programm wird durch Pflegeteams umgesetzt, die an der Teamsicherheitskultur mit Fokus auf die Influenzaprävention arbeiten wollen. Wir gehen davon aus, dass die Influenzaprävention optimal umgesetzt wird, wenn sie mit Werten verbunden ist, die den Teams in der Pflege wichtig sind. Zusätzlich braucht es eine kritische Teamfeflexion der gängigen Praxis. Denn unsere Daten haben gezeigt, dass die befragten Teams ihre Influenzaprävention tendenziell besser einschätzen als die Beobachtung zeigte. Erst wenn der Optimierungsbedarf vom Team erkannt und definiert wird, wird der Einsatz für eine Verbesserung der Teamsicherheitskultur sinnhaft.
Zur Verbesserung der Teamsicherheitskultur führt ein Kernteam mit der Stationsleitung (4-10 Personen) drei Workshops à 2 Stunden durch. Nach jeder Sitzung werden gewisse Inhalte mit dem Gesamtteam diskutiert.
Die Workshops werden von zwei Moderatorinnen geleitet. Diese begleiten den Prozess und ermöglichen die Reflexion.
In der ersten Sitzung erarbeitet das Kernteam die Werte der Pflege für ihre Abteilung. Diese werden mit dem Gesamtteam reflektiert. Zusätzlich sammelt das Kernteam Fragen und Unsicherheiten in Bezug auf die aktuelle Grippeprävention. Es wird gemeinsam festgelegt, wie die Antworten auf einzelne Fragen erarbeitet werden.
In der zweiten Sitzung werden die Werte hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Influenzaprävention reflektiert. Danach diskutiert das Team erstens die gesammelten Antworten auf ihre Fragen. Zweitens werden die Beobachtungsdaten zu Händehygiene, Maskentragen und Impfung in der eigenen Abteilung präsentiert. Drittens setzt sich das Team kritisch mit den eigenen Stärken und Schwächen in der Influenzaprävention auseinander.
In der dritten Sitzung werden die Stärken und Schwächen nochmals aufgenommen und ein Aktionsplan mit machbaren, messbaren Zielen und entsprechenden Massnahmen definiert. Das Gesamtteam wird in die Umsetzung involviert und die nächsthöhere Führungsperson von der Stationsleitung informiert.
Die Workshops werden in einem Raum im Spital umgesetzt mit einem Beamer für die Präsentation, sowie Moderationsmaterial (Stifte, Flipchart, Klebezettel und Karten). Die Teilnehmenden erhalten ein Arbeitshandbuch mit Anleitungen und für Notizen.
Moderatorinnen stellen in Meetings die Kollaboration aller Beteiligten sicher und unterstützen mit personenzentrierten Kommunikation den Beteiligungs- und Lernprozess. Das Programm wird im Weiteren mit einem Tandem-Moderationsansatz umgesetzt, um den kollaborativen Ansatz weiter zu stärken. Optimalerweise verfügt eine Moderatorin über Expertise in der Practice Development Umsetzung (29). Ihre Rolle ist es, den Prozess mit den Teams zu leiten. Sie bezieht eine zweite Moderatorin entsprechend deren Fähigkeiten und Expertise ein. Die zweite Moderatorin hat idealerweise einen Hintergrund in Spitalhygiene oder in Change Management. Mindestens eine Moderatorin sollte in einer Funktion tätig sein, die es ihr ermöglicht, den Interventionsprozess zu begleiten. Dazu gehören neben der Leitung der drei Workshops auch die Kommunikation mit den Teams und ihren Leitungspersonen vor, zwischen und nach den Workshops. Von vornherein sollte vereinbart werden, welche der Moderatorinnen die Teams nachhaltig in der Umsetzung und Aufrechterhaltung der Veränderungen unterstützen kann.
Die Stations- oder Teamleitung wird in ihrer Führungsfunktion als wichtige Person im teamorientierten Veränderungsprozess einbezogen. Sie ist grundsätzlich mit der Einführung des Trainingsprogramms einverstanden. Grundsätzlich kann sie als Moderatorin oder als Teilnehmerin des Programm auftreten. Falls sie als Teilnehmerin dabei ist, wird sie von den Moderatorinnen in die Vor- und Nachbesprechung der Work-shops einbezogen. Dies ist wichtig, denn Teamprozesse, welche durch TIP ausgelöst werden, nicht immer vorhersehbar sind. Diese müssen durch sie als Führungspersonen wirksam mitgesteuert werden.
Entsprechend dem Ansatz des Practice Development in Nursing and Healthcare orientiert sich die Interaktion mit den Teams und Einzelpersonen an den Prinzipien der Kollaboration, des Einbezugs und der Partizipation (29). Auf der Grundlage dieser Prinzipien soll die Eigenverantwortung für die Veränderungsstrategie und deren Umsetzung bestärkt werden. In Bezug auf die Grippeprävention wird davon ausgegangen, dass Pflegeteams in Schweizer Spitälern ein grundlegendes Verständnis dafür haben, wie die Influenzaprävention auf ihren Abteilungen optimaler umgesetzt werden kann. Dieses Verständnis können sie basierend auf einer gemeinsamen Wertediskussion reflektieren. Dazu müssen sie ihre. aktuelle Praxis reflektieren, sich Wissen aneignen und Ziele setzen. In diesem Prozess haben alle Individuen eine Stimme und ihre Kollaboration ist wichtig für die Entwicklung einer gemeinsamen Haltung und Zielrichtung in der Pflege.
Das TIP Program kann durch Pflegeteams, durch Stationsleitungen oder weitere Führungspersonen vorgeschlagen werden. Wichtig sind die Freiwilligkeit und Motivation der beteiligten Teams. Wir empfehlen für die Auswahl von Teams folgende Kriterien:
Falls diese Kriterien nicht erfüllt sind, sollte zuerst die nötige Lobbyarbeit gemacht werden. Zusätzlich empfehlen wir, dass für die teilnehmende Abteilung/Team Daten zur Adhärenz mit den Präventionsmassnahmen vorhanden sind oder gesammelt werden können. Dies ist sehr hilfreich, weil unsere Evaluation gezeigt hat, dass die Selbstwahrnehmung oft von den Beobachtungsdaten abweichen und sich daraus gewinnbringende Diskussionen ergeben.
Zusätzlich empfehlen wir, dass für die teilnehmende Abteilung/Team Daten zur Adhärenz mit den Präventionsmassnahmen vorhanden sind. Das ist sehr hilfreich, weil unsere Evaluation gezeigt hat, dass die Selbstwahrnehmung öfter nicht mit den gemessenen Daten übereinstimmt und sich daraus sehr gewinnbringende Diskussionen ergeben.
Falls diese Daten nicht vorhanden sind, empfehlen wir deren Erhebung in Erwägung zu ziehen.
TIP Trainingsprogramm besteht aus drei Workshops, die mit zeitlichen Abständen aufeinanderfolgend durch das Kernteam umgesetzt werden sollten. Für das Forschungsprojekt hatten wir die Abstände zwischen den Workshops mit 2-3 Wochen definiert, weil dazwischen mit dem Gesamtteam gearbeitet werden sollte. Diese Abstände waren in der Praxis oft nicht umsetzbar und schlussendlich nicht so relevant, weil die Arbeiten im Gesamtteam manchmal zusammengefasst wurden. Da die Workshops aufeinander aufbauend sind, empfehlen wir jedoch eine Umsetzung aller Workshops innerhalb von 2-3 Monaten und zeitlich möglichst vor einer Influenza Saison.
Im Folgenden werden die Inhalte der Workshops detailliert beschrieben.
Ziel der ersten Sitzung ist es, gemeinsame Werte der teilnehmenden Teammitglieder für die Pflege auf ihrer Abteilung/Station zu definieren und einen ersten Bezug zur Patientensicherheit zu schaffen. Der Output ist ein Poster mit Werten und Visionen ihrer Pflege. Dabei werden diese Werte im Sinne von «positive affirmations» durch die Moderation wiederholt und bestärkt. Zusätzlich werden als Vorbereitung für nächste Sitzung Gedanken, Bedenken und Fragen zur Influenzaprävention auf ihrer Abteilung/Station erfasst.
Zeit | Aktivität | Methode | Ziel/Output |
Einführung | |||
5 min | Einführung ins Projekt | Folien u. Diskussion | Vorgehen u. Methoden kennen Vorstellen der Moderation |
Werte und Vorstellungen | |||
20 min | – Karten nehmen, Fragen beantworten – Sich in 1-2 Sätzen vorstellen | Einzelarbeit (Arbeitsblatt A) | Eigene Werte reflektieren |
Geteilte Vision | |||
5min 15 min 60-80min | – Intro (was es ist, um was es geht) – Oberstes Ziel/Bestimmung der eigenen Pflege definieren – Gemeinsame Ziele/Werte der pflegerischen Tätigkeit diskutieren | Einführung Facilitator Einzel- oder Zweier-Arbeit Gruppenarbeit mit Konsensus | Oberstes Ziel/Bestimmung der Pflegearbeit definieren Zusammenfassende Statements der „gemeinsamen Vision“ |
Abschluss und Ausblick | |||
10min | – Ausblick: Reflexion Patientensicherheit (nosokomiale respiratorische Infektionen) – Aufgabe: Gemeinsame Werte mit den andern diskutieren, Perspektiven einholen | Diskussion, Vereinbarung | Definierte Aufgaben bis zur nächsten Sitzung |
Ziel der zweiten Sitzung ist es, auf der Grundlage der gemeinsamen Werte zu reflektieren, wie die eigene Praxis in Bezug auf die Patientensicherheit vor viralen respiratorischen Infektionen, einzuschätzen ist. Der Output ist eine Liste der Stärken und Schwächen als Team (geteilte Wahrnehmung) und ein Plan, wie fehlende Informationen/Daten gesammelt werden können. Dieser Prozess wird durch Feedback on behavior (BCT 2.2) und Selfmonitoring of behavior (Ref) (BCT2.3) unterstützt (38).
Zeit | Aktivität | Methode | Ziel/Output |
Rückblick Teamprozess „Wertediskussion“ | |||
20 min | – Wertediskussion im Team – Was ist in der Zwischenzeit passiert – Welche Werte sind für die Influenza Prävention relevant | Selbstevaluation und Gruppendiskussion | -Verständnis was die einzelnen Mitglieder rund ums Thema beschäftigt -Definition was IP alles ist |
Bewertung des eigenen Präventionsverhaltens | |||
10min 60-min | – Intro (Wo stehen wir, sich informieren, messen und evaluieren) – Stärken und Schwächen Analyse (inkl. Was muss man noch tun um dies beurteilen zu können) – Gemeinsamer Aktionsplan in Bezug auf sich informieren, messen und evaluieren | Einführung Facilitator Gruppenarbeit mit Konsensus | -Beginn der Stärken und Schwächen Analyse -Aktionsplan welche –Informationen eingeholt werden sollen -Falls möglich Affirmation (Bezug zu Werten) |
Abschluss und Ausblick | |||
Aufgabe: Informationen beschaffen | Diskussion, Vereinbarung | Definierte Aufgaben bis zur nächsten Sitzung |
Ziel der dritten Sitzung ist es, auf der Grundlage der Reflexion der eigenen Praxis, zu definieren was wie und bis wann und wie verändert werden soll. Der Output ist eine Aktionsliste mit SMARTEN Zielsetzungen und einem Massnahmenplan. Dazu Verhaltensänderungstechniken eingesetzt: Goal setting ) (1.3) und Action planning (1.4) zusätzlich werden diese Massnahmen in Bezug zu den erarbeitenten Werten gesetzt. (identity associated with changed behavior) (38).
Zeit | Aktivität | Methode | Ziel/Output |
Rückblick Wo stehen wir?“ | |||
50 min | Wo stehen wir, Sammlung und Austausch von Informationen Stärken/Schwächen ergänzen | Präsentation TN und Diskussion | Stärken und Schwächen vervollständigen |
Problemfelder und Ziele definieren | |||
10 min 45 min | – Einführung in Aktionsplanung und Zielsetzung – Problemfelder definieren, Ziele formulieren – Ziele bewerten – Aktionsplan erstellen | Gruppenarbeit und Diskussion | Aktionsplan mit messbaren Zielen |
Abschluss Aktionsplan und positive Verstärkung |
Im Rahmen der Studie wird davon ausgegangen, dass die Verbesserung der Influenzaprävention je nach Ausgangslage einer einzelnen Abteilung unterschiedlich schnell erreicht werden kann. Hat eine Abteilung in einem der Bereiche den Zielwert erreicht, geht es auch noch darum diesen über weitere Influenzasaisons aufrecht zu halten (maintenance). Der Interventionseffekt von Verhaltensinterventionen lässt bekannter Weise mit der Zeit nach.
Da wirksame Influenzaprävention aus kombinierten Massnahmen besteht, kann es auch sein, dass mehrere Massnahmen optimiert werden sollten. Aus Machbarkeitsgründen, braucht es dann auch wiederholte Workshops in denen nach bis nach weitere Ziele und Massnahmen geplant und umgesetzt werden.